Mittwoch, 15. November 2006

Der Auftrag

Als sich die sengende Sonne senkte und die Schatten der Häuser in der Oase länger wurden, setzte sich der Haussklave des Ersten vor das Lehmhaus am Rande der Siedlung und wartete, dass die Sonne hinter den Bergen am Ende der Wüste unterging und der Mond heraufkam, während drinnen die ältliche Frau des Ersten das Essen zubereitete.
Der Wundheiler kam heran und setzte sich neben den Haussklaven vor dem Lehmhaus, als ein kurz brummendes Geräusch aus dem Haus drang, gefolgt vom lauten Geschrei. „Das ist ja grauenhaft!„ hörten sie die ältliche Frau, „geh raus, das hält keiner aus!“

Der Erste trat aus dem Haus, ohne die beiden Männer zu beachten, er hob die Arme in die Höhe und den Blick zur Mondsichel. Nach einer Weile spannte er sich, das kurz brummende Geräusch wiederholte sich, diesmal kräftiger, weil näher, und darauf begann er zu sprechen.

Der Wundheiler nahm jedes Wort auf und bewahrte es in seinem Herzen, und so ist es überliefert, was der Erste an jenem Abend sagte, und auch der Haussklave bestätigte es den Chronisten und reicherte die Geschichtstradition mit Ergänzungen an. So ist dank dem Haussklaven gewiss, dass der Abendwind leise wehte und alle Gerüche Arabiens über die Oase verteilte.

Und der Erste hub an und sprach, ohne die beiden Zuhörer zu beachten, und gleichsam in Trance: "Oh du Mond, der du rund bist wie ein Eierkuchen, oh du Mond, der du dann abnimmst wie der Eierkuchen, den ich heute ass, oh du Mond.“
Der Erste hielt inne und bewegte die ausgestreckten Arme leicht auf und ab. Der Haussklave und der Wundheiler hielten den Atem an, aber diesmal war kein brummendes Geräusch zu vernehmen.
„So wie der Eierkuchen“, fuhr er nach einer Weile fort, „so wie Eierkuchen gegessen wird, so wirst auch du gegessen, so wird alles gegessen, und das ist der Lauf der Welt. Denn ich habe die Vision gehabt, und nun weiss ich, was ich zu tun habe. Ich weiss es, denn es ist mir gegeben worden.“

In diesem Moment rief die Stimme der ältlichen Frau des Ersten, sie sollten ins Haus kommen, das Essen sei fertig. Und so senkte der Erste seine Arme, drehte sich zum Haus zurück und schien erst jetzt die beiden Männer zu bemerken.

Der Eierkuchen bekommt ihm nicht gut, dachte der Wundarzt. Und was seine Vision war, hat er immer noch nicht gesagt.

Aber er sollte es beim Essen erfahren. Denn Essen macht gesprächig, und das traf auch auf den Ersten zu. Und noch bevor sie das dritte Fleischbällchen gegessen hatten, erfuhr der Wundarzt, und mit ihm der Haussklave und die ältliche Frau, dass der Erste bei seiner Ohnmacht mit dem Eierkuchen nicht in Ohnmacht gefallen war, sondern dass sein Geist in eine Höhle transportiert worden war, und dort hatte ein Engel gewartet, und der Engel hatte zum Ersten gesprochen.

„Lies!“ hatte der Engel gesagt und dem Ersten einen Papyrus hingestreckt. Und der Erste war zusammengezuckt, denn er konnte nicht lesen. „Lies!“ wiederholte der Engel, leicht genervt, und da sagte ihm der Erste, dass er doch gar nicht lesen könne. Der Engel runzelte die Stirn, fixierte den Ersten nochmals, murmelte etwas vor sich hin, hob die Hand, als ob er den Ersten wieder wegschicken wollte, und dann hiess er ihn doch warten. „Dann lese ich dir das Zeug halt vor“, sage er darauf.
Der Erste hielt inne in seinerr Erzählung seiner Vision und griff sich ein paar Auberginestückchen. Als er die gegessen hatte, verstummte er. Doch als er all die neugierigen Blicke auf sich gerichtet sah, von Wundheiler, Sklave und Frau, da fuhr er weiter.
Der Engel las mir den Papyrus dann vor, erklärte er. Und da stand ... da stand .. da sagte er .. na .. da las der Engel: „Ich bin Noullah, ich bin der Grösste, und ich will keinen neben mir.“

Ja, und da habe ich gedacht, da will einer Streit, und da habe ich dem Engel gesagt, damit habe ich nichts zu tun, du darfst gerne der Grösste sein, das war‘s wohl und kann ich jetzt zurückgehen und meinen Eierkuchen fertigessen, und da hat der Engel gesagt, jetzt wart mal. „Erstens bin ich nicht Noullah, sondern das ist der Gott, der mich geschickt hat, und zweitens, da hat‘s noch was Kleingeschreibenes.“
Und da holte er ein Glas aus einer Falte seines Hemdes und hielt das vor sein Auge und dann las er weiter: „Ali“, las er und sah auf und fragte eindringlich, „du bist Ali, oder?“ und ich sagte ja, ich bin Ali, und mein Vater hiess auch schon so. Heisst doch jeder so hier in der Oase. „Na gut“, sagte der Engel da und brummte etwas vor sich das tönte wie „das kann ja heiter werden“, und dann las er endlich weiter, und er sagte laut, da stehe klein geschrieben: „Ali ist mein Prolet.“
Der Wundheiler beugte sich vor. „Prolet?“ Und der Wundarzt dachte, dem bekommen die Eierkuchen nicht.
„Ja, Prolet“, sagte der Erste und runzelte die Stirn. „Das habe ich ihn auch gefragt, habe ja keine Ahnung was das sein soll."
Da hat der Engel was von schlechtem Licht in der Höhle geredet und ist kurz rausgegangen. Als er zurückkam, sagte er, das habe er schon richtig gelesen, aber es müsse wohl ein Schreibfehler gewesen sein, da habe der Teufel die Hand im Spiel gehabt, das heisse sicher, Ali ist mein Prophet. Doch doch, das müsse Prophet heissen. Sei aber auch mit einer fürchterlichen Handschrift abgefasst.“
Und der Erste stand vor dem Engel und kratzte sich am Kopf und sah den Engel ratlos an. „Prophet? Ist das gefährlich? “
„Es ist ein Auftrag.“ antwortete der Engel.
„Von wem denn?“
„Von Noulla, steht doch da.“
„Und wer ist das?“
Da sah der Engel ganz verzeifelt aus. „Jetzt hör mir mal zu, Ali, ich kann auch nichts dafür. dass ich mit diesem Papyrus in diese Höhle geschickt wurde und auf den ersten warten sollte, der da reinkommen würde, und es ist mir völlig egal was du denkst, aber wenn ich jetzt zurückgehe und sage, der Ali will gar nicht, da kann ich dir garantieren, dass mir die Flügel abgeschlagen werden, die Glieder wechselseitig abgehackt und der Rest auf einen Pfahl gesteckt, und das ist nicht lustig. Und sag jetzt nicht, das sei dir wurst, denn das wird dir ähnlich ergehen, wenn du dich nicht sofort Noullah unterwirfst. Noullah ist barmherzig. Aber nur, wenn man sich ihm unterwirft und tut, was er will.“
„Und was will er?“
„Dass du ...“ Der Engel nahm den Papyrus schaute ihn genau an, wendete ihn und las: „Die Welt soll voller Eierkuchen sein.“

Da wusste der Erste, dass er sich diesem Noullah unterwerfen würde.
Und nun wusste es auch der Wundarzt, der Haussklave, und seine ältliche Ehefrau.

„Dann mach ich mal den Abwasch“, sagte die ältliche Ehefrau und stand auf. „Dir bekommen die Eierkuchen nicht.“

Samstag, 11. November 2006

Al Omelet



Das heilige Zeichen der Nousophoben ist der angebissene Eierkuchen. Dies geht auf die Überlieferung zurück, dass der Virus der Nousophobie auf den Genuss eines Eierkuchens zurückgeht, den der erste von Nousophobie betroffene Mensch verspiesen hatte.

Die Legende führt aus, dass der Kuchen von seiner etwas ältlichen Frau zubereitet wurde, und in der Sonne der arabischen Wüste zum Trocknen lag, als der Erste (so wird er in der Tradition genannt) von seiner Lieblingsziege zurückkehrte, einen Heisshunger verspürte, sich auf den Kuchen warf und von ihm herunterschlang, bis ihm schwindlig wurde und er bewusstlos neben dem Rest des Kuchens umkippte.

Seine Frau, welche ihn vom anderen Ende des Hauses her essen gehört hatte, eilte herbei und konnte nur noch zusehen, wie sein Kopf in den Sand schlug. Schnell zog sie ihn aus der Sonne in den kühlenden Eingang und rieb ihm mit Sand den Kopf ein. Es half aber nichts, so wurde er in eine dunkle Kammer gebracht und dort liegengelassen, während eine Sklavin zum lokalen Naturheiler geschickt wurde.

Kaum trat der Naturheiler in die Kammer, erwachte der Erste mit einem kräftigen Rülpser (in der Tradition al burap genannt) und sprang von seinem Bette auf.
Ich habe eine Vision gehabt, schrie er, und vor Erregung begann er zu schwitzen wie ein Schwein. Er sprang im Raum herum, schrie Vision! zum wiederholten Male, Vision!, und liess sich nicht beruhigen, bis schliesslich der Naturheiler den Rest des Eierkuchens holen ging. Als der Naturheiler mit dem Rest in die Kammer zurückkehrte, zeigte der Erste auf den Kuchen und rief: Das war es, das hat mir die Vision gegeben, dass ist die Lösung, das ist die Antwort, das ist das Heil.

Und seither ist der angebissene Eierkuchen, genannt al Omelet, das Symbol der Menschen, die von Nousophobie befallen werden.

Über seine Vision klärte der Erste seine Zuhörer aber noch nicht sofort auf, sondern er zog sich erst einmal in ein geschlossenes Gemach zurück und versprach die Auskunft für später.

Wie das auch der Blogger hier tut.

Freitag, 10. November 2006

Nousophobie - eine Einführung

Es gibt eine Krankheit, die neu ins Bewusstsein der Menschen dringt, weil sie sich immer weiter ausbreitet, eine Krankheit, die aber schon seit Jahrhunderten existiert: Es handelt sich um die panische Angst vor Verstand, Vernunft, Einsicht, Erkenntnis und Geist, die panische Angst vor der puren Existenz von Geist und in der Folge die panische Angst vor dem Gebrauch von Verstand mit Vernunft. Weiter umfassst die Krankheit die Angst vor der Einsicht und Erkenntnis, welche aus dem Gebrauch von Verstand und der Anwendung von Vernunft folgt.

Wir wollen die Krankheit Nousophobie nennen. *

Nousophobie hat nicht nur Wirkung auf die Sicht gegenüber dem Geist und seinen gesunden Prozessen, sondern sie kann sich, weil Verstand und Vernunft im Westen üblicherweise zur Gewinnung von Einsicht und Erkenntnis verwendet werden, auch in der Ablehnung des gesamten Westens ausdrücken.

Nousophobie ist epidemisch, praktisch unheilbar, und die Übertragung wird besonders durch das Hören von Predigten und das Auswendiglernen von langen Reihen von Lauten gefördert.

Nousophobe halten Verstand nicht aus, Vernunft bringt sie zum Schreien, und sie mobilisieren sämtliche physischen und psychischen Kräfte zur Abwehr von Einsicht und Erkenntnis. Sie rennen auch regelmässig in grossen Gruppen auf die Strasse und zünden Botschaftsgebäude an. In weniger akuten Fällen verbrennen sie ein paar Flaggen westlicher Staaten und ein paar Puppen von westlichen politischen und auch geistigen Grössen.

Nousophobe hüllen sich üblicherweise in Nachthemden, schreien sinnlos und rennen mit Transparenten herum. In schlimmen Fällen schlagen Nousophobe wild um sich, schiessen, wenn sie eine Knarre haben, alles an, was herumläuft, und sprengen sich auch mal in die Luft, wenn man sie denn an Sprengstoff kommen lässt. Was man darauf von ihnen findet, wird in der Regel ins Spital eingeliefert, und dort nach Möglichkeit wieder zusammengesetzt (nosokomische Fälle von Nousophobie, Nosokomeinon = Krankenhaus). Dadurch wird allerdings die Nousophobie nicht geheilt, sondern sie springt auf sämtliche Besucher mit entsprechender Disposition über und verbreitet sich über ganze Städte, Länder und Kontinente.

Bekannte Symptome von latenter Nousophobie sind starker Bartwuchs bei Männern und Verhüllung des Kopfes bei Frauen.

Das wichtigste Symptom der Nousophobie ist hingegen die Manie, anderen Leuten Angst vor den Nousophoben zu unterstellen und militant ihre Nousophobie zu verteidigen. Es zeigt sich also zur allgemeinen Verblüffung, dass sie sich ihrer Eigenschaft in einer bestimmten Weise bewusst sind und dass dies ein Gefühl des Zusammenhaltes gibt, wie das auch bei Leprakranken und von AIDS betroffenen der Fall sein kann. Sie haben dabei das Wort übernommen, das sie medizinisch zusammenfasst, und betrachten es als Auszeichnung und als Merkmal der Überlegenheit. Des weiteren gehen sie davon aus, dass sie auf die Dauer die ganze Weltbevölkerng anstecken können.

Nousophobe tragen darum bei ihren regelmässigen Strassendemos Transparente mit Aufschriften wie "Kill those who critcize Nousophobia", oder "Nousophobia will rule the World".

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* Nousophobie ist abgeleitet von νοῦς , Vermögen geistiger Wahrnehmung: Einsicht, Verstand, Vernunft, Intelligenz, und φόβος, Furcht, Schrecken Angst; in der Abwandlung Phobie für krankhafte Angst verwendet .

 

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